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"Zeitenwenden"

Gedanken und Anregungen zum EFM-Jahresthema 2025
Drawing a Straight Line

Forumsblog 12-2025 2022 Kriege als „Zeitenwenden“: Ein Rück- und Ausblick

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Am Ende des EFM-Jahres, das unter dem Thema „Zeitenwenden“ steht, sind die Überlegungen in der Gegenwart angekommen: Der Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine galt von Beginn an als eine „Zeitenwende“. Daran hat sich auch in den drei Jahren seitdem nichts geändert.

Die folgenden Thesen nehmen diesen Krieg zum Anlass, auf die bisherigen 11 „Zeitenwenden“ zurückzublicken. Gibt es einen „roten Faden“ von der Eroberung Westroms durch die Vandalen über die Eroberung Ostroms durch die Osmanen, die Auseinandersetzungen in der Reformationszeit (Luther/ Calvin), den Westfälischen Frieden, die Französische Revolution, den Beginn des Ersten Weltkriegs, die anschließenden Revolutionen, das Aufkommen der NS-Herrschaft, den Beginn des Kalten Krieges 1945 und seine vermeintliche Überwindung 1990?

Auch wenn die Unterschiede auf den ersten Blick überwiegen, ermöglicht der zweite Blick eine differenziertere Sicht: Im Blick auf Ursachen, Verlauf, Ausgestaltung und Zielsetzung der gewaltbetonten „Zeitenwenden“ tritt die jeweilige konkrete Gestalt und Ausprägung der Gewalt – von psychischer und struktureller bis zur offenen, physischen Gewalt (Eroberung, Revolution) – gegenüber ihrer Interpretation und Instrumentalisierung in den Hintergrund.

 

 

These 1 Zeitenwenden haben ihre Ursachen

 

Sowohl in subtilen wie auch in offenen Gewaltformen zeigt sich der Charakter als „Zeitenwende“ nicht nur in der konkreten Erfahrung von Gewalt, sondern auch in ihrer unscheinbaren Vorbereitung.

Das betrifft sowohl subtile Formen psychischer oder struktureller Gewalt (religiöse Indoktrination in der Reformationszeit, aufgezwungene Grenzen im Westfälischen Frieden, ideologische Verengung in der NS-Zeit oder Polaritäten im Kalten Krieg) als auch explizite Gewalt wie Eroberungen, Revolutionen, oder (Welt-)Kriege.

Um den Ursachen auf den Grund zu gehen, um rechtzeitig intervenieren zu können, bietet sich die Lektüre von Äußerungen der Beteiligten im Vorfeld an.

Am aktuellen Beispiel des Ukraine-Kriegs bedeutet das z. B., neben Putins Sicht auf die Ereignisse von 1990 als dringend zu korrigierende Fehlentscheidung der Geschichte (November-Blog) auch seine Sicht der engen Verbindungen zwischen Ukraine und Russland:

 

Die Lage im Donbass ist erneut kritisch und akut geworden. Und heute wende ich mich direkt an Sie, nicht nur um zu bewerten, was geschieht, sondern auch, um Sie über die Entscheidungen, die getroffen werden, und mögliche weitere Schritte in dieser Richtung zu informieren. Ich möchte noch einmal betonen, dass die Ukraine für uns nicht nur ein Nachbarland ist. Sie ist ein integraler Bestandteil unserer eigenen Geschichte, Kultur und unseres spirituellen Raums. Das sind unsere Freunde, unsere Verwandten, nicht nur Kollegen, Freunde und ehemalige Arbeitskollegen, sondern auch unsere Verwandten und engen Familienmitglieder. /.../ Lassen Sie mich also mit der Tatsache beginnen, dass die moderne Ukraine vollständig von Russland geschaffen wurde, genauer gesagt, vom bolschewistischen, kommunistischen Russland. Dieser Prozess begann fast unmittelbar nach der Revolution von 1917, und Lenin und seine Mitstreiter taten das auf sehr grobe Weise mit Russland selbst – durch Sezession, indem sie Teile seiner eigenen historischen Territorien abtrennten. Natürlich hat niemand die Millionen von Menschen, die dort lebten, nach irgendetwas gefragt.

 

Vladimir Putin, Rede an die Nation vom 21.2.2022, https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/putin-rede-21.2.2022/

 

Am Tag vor der Invasion spitzte sich das zentrale Narrativ Putins von der Ukraine als genuin russisches Gebiet als Rechtfertigung für den Überfall zu, das bereits – diplomatisch-inoffiziell – seit den 1990er Jahren sein Denken und Reden in immer radikalerer Form bestimmte und spätestens seit 2005 öffentlich verkündet wurde („dreieiniges Volk“ aus Russen, Ukrainern, Belarussen). Seine offene systematische Propagierung („Neurussland“) konkretisierte sich in der Besetzung der Krim 2014 und kulminierte 2021 in einem programmatischen Geschichtsaufsatz über die gemeinsamen Wurzeln in Kyjiwer Rus und Orthodoxie.

https://www.dw.com/de/faktencheck-putins-blick-auf-die-geschichte-der-ukraine/a-60895811

 

 

These 2 Zeitenwenden haben ihre Verläufe

 

Sowohl in den erwähnten subtilen Formen psychischer oder struktureller Gewalt wie auch in den expliziten lässt sich ein bestimmter roter Faden aufzeigen, der in der Regel eine Eskalationsspirale abbildet. Um rechtzeitig intervenieren zu können bietet sich an, Struktur und Stationen dieses Weges in den Blick zu nehmen.

Am aktuellen Beispiel des Ukraine-Kriegs bedeutet das z.B., nicht nur den spektakulären Kriegsbeginn ins Auge zu fassen, sondern den tatsächlichen Konfliktbeginn, wie Putin z.B. 2014 auf einer Konferenz aus seiner Sicht so formulierte:

 

Was wir tun mussten, war, einen rationalen Wiederaufbau durchzuführen und ihn an die neuen Realitäten im System der internationalen Beziehungen anzupassen. Doch die Vereinigten Staaten, die sich selbst zum Sieger des Kalten Krieges erklärt hatten, sahen darin keine Notwendigkeit. Anstatt ein neues Machtgleichgewicht herzustellen, das für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Stabilität unerlässlich ist, unternahmen sie Schritte, die das System in ein scharfes und tiefes Ungleichgewicht brachten.

Der Kalte Krieg endete, aber er endete nicht mit der Unterzeichnung eines Friedensvertrags mit klaren und transparenten Vereinbarungen zur Einhaltung bestehender Regeln oder zur Schaffung neuer Regeln und Standards. Dadurch entstand der Eindruck, die sogenannten ‘Sieger’ des Kalten Krieges hätten beschlossen, Druck auf die Ereignisse auszuüben und die Welt ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen entsprechend umzugestalten. Wenn das bestehende System der internationalen Beziehungen, das Völkerrecht und die bestehenden Kontrollmechanismen diesen Zielen im Wege standen, wurde dieses System für wertlos, veraltet betrachtet und musste sofort abgerissen werden...Allein die Vorstellung von ‘nationaler Souveränität’ wurde für die meisten Länder zu einem relativen Wert. Im Wesentlichen wurde folgende Formel vorgeschlagen: Je größer die Loyalität gegenüber dem einzigen Machtzentrum der Welt, desto größer die Legitimität dieses oder jenes herrschenden Regimes.

 

http://en.kremlin.ru/events/president/news/46860

 

 

These 3 Zeitenwenden haben ihre Rituale und Narrative

 

Sowohl in den erwähnten subtilen Formen psychischer oder struktureller Gewalt wie auch in den expliziten lassen sich ähnliche Rituale und Narrative erkennen, die der Untermauerung und Verankerung von Überzeugungen und Argumentationslinien dienen, und werden zumeist als Verschwörungstheorien abgebildet.

Um rechtzeitig intervenieren zu können bietet sich an, solche Rituale und Narrative auf ihre Botschaft und Intention hin zu befragen.

Am aktuellen Beispiel des Ukraine-Kriegs bedeutet das z.B., unterschiedliche Interpretationen miteinander zu vergleichen:

 

Kurz nach der Invasion hielt Olaf Scholz im Bundestag eine Regierungserklärung:

 

Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Aus einem einzigen Grund: Die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer stellt sein eigenes Unterdrückungsregime infrage. Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. Die schrecklichen Bilder aus Kiew, Charkiw, Odessa oder Mariupol zeigen die ganze Skrupellosigkeit Putins. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit, der Schmerz der Ukrainerinnen und Ukrainer – sie gehen uns allen sehr nahe. Ich weiß genau, welche Fragen sich die Bürgerinnen und Bürger in diesen Tagen abends am Küchentisch stellen. Welche Sorgen sie umtreiben – angesichts der furchtbaren Nachrichten aus den Kriegsgebieten. Viele von uns haben noch die Erzählungen unserer Eltern oder Großeltern im Ohr vom Krieg. Und für die Jüngeren ist es kaum fassbar – Krieg in Europa.

 

https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/bulletin/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-2008606

 

Gemeinsame Erklärung der Staats- und Regierungschefs der NATO vom 24.03.2022:

 

1. Wir, die Staats- und Regierungschefs der dreißig Verbündeten der NATO, sind heute zusammengekommen, um die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine – die seit Jahrzehnten schwerwiegendste Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit – anzugehen. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat den Frieden in Europa erschüttert und verursacht gewaltiges menschliches Leid und Zerstörung.

2. Wir verurteilen die russische Invasion der Ukraine auf das Schärfste. Im Einklang mit der Resolution zur Aggression gegen die Ukraine, die bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. März 2022 verabschiedet wurde, rufen wir Präsident Putin auf, diesen Krieg umgehend zu beenden und die Streitkräfte aus der Ukraine abzuziehen, und rufen Belarus auf, seine Komplizenschaft einzustellen. Russland sollte das Urteil des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen vom 16. März befolgen und militärische Operationen umgehend aussetzen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine bedroht die globale Sicherheit. Sein Anschlag auf internationale Normen macht die Welt weniger sicher. Die Eskalationsrhetorik des Präsidenten Putin ist verantwortungslos und destabilisierend.

3. Mit ihrem heldenhaften Widerstand gegen den brutalen Eroberungskrieg Russlands hat die ukrainische Bevölkerung Menschen weltweit inspiriert. Wir verurteilen nachdrücklich die verheerenden russischen Angriffe auf Zivilpersonen, darunter Frauen, Kinder und gefährdete Gruppen. Wir werden mit dem Rest der internationalen Staatengemeinschaft zusammenarbeiten, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die Menschen- und Völkerrechtsverletzungen einschließlich Kriegsverbrechen zu verantworten haben. Wir sind zutiefst besorgt angesichts der erhöhten Gefahr von sexualisierter Gewalt und Menschenhandel. Wir rufen Russland nachdrücklich auf, humanitären Hilfsorganisationen einen schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang sowie sichere Fluchtwege für die Zivilbevölkerung zu erlauben und die Lieferung humanitärer Hilfe nach Mariupol und in andere belagerte Städte zu ermöglichen. Wir verurteilen ebenfalls die Angriffe auf zivile Infrastruktur, unter anderem diejenigen, die Kernkraftwerke gefährden. Wir werden die Lügen Russlands bezüglich seines Angriffs auf die Ukraine weiter widerlegen und erfundene Narrative oder konstruierte Operationen „unter falscher Flagge“ aufdecken, mit denen weitere, unter anderem gegen die ukrainische Zivilbevölkerung gerichtete Eskalationen vorbereitet werden. Jegliche Verwendung chemischer oder biologischer Waffen durch Russland wäre inakzeptabel und würde schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.

 

https://nato.diplo.de/nato-de/01-natostatements/2519166-2519166

 

Selenskyj nahm 2024 auf diese Zeitenwende im Bundestag Bezug:

 

Meine heutige Rede ist Ihnen allen gewidmet. Denen, die Macht haben, und denen, die Macht geben. All jenen, die die Menschlichkeit in ihrem Herzen tragen und so dem Traum von einem friedlichen Europa treu bleiben. Einem Europa, das größer ist als wir alle. Ein Europa, das sich an die Erfahrungen von Hunderten von Generationen erinnert, die auf unserem Kontinent gelebt haben und von denen es den meisten leider nicht vergönnt war, in Frieden zu leben. Und deshalb ist der Traum so stark geworden, der Traum von einem Europa, das ein Kontinent der Kultur, ein Kontinent der Menschen, ein Kontinent ohne Krieg sein muss. Ich persönlich glaube an ein solches Europa. Ein Europa, das mit Sicherheit ein glückliches Zuhause für unsere Kinder und deren Kinder sein wird. Ein Europa, das nicht zulassen wird, dass der Hass Wurzeln schlägt. Und das alles tun wird, um diesen Fehler in der europäischen Geschichte zu korrigieren – diesen Krieg, der auf unserem Kontinent andauert und zu einer viel größeren Konfrontation zu eskalieren droht. Wir werden ihn nicht als Erbe hinterlassen. Wir werden diesen Krieg beenden. Wir werden ihn beenden, im Interesse der Ukraine und im Interesse von ganz Europa. Im Interesse von uns allen. Und für alle, die nach uns kommen werden. Wir werden ihn zu unseren eigenen Bedingungen beenden. Zu Bedingungen, die für jeden Menschen, für jeden normalen Menschen auf dieser Erde, verständlich sind.

 

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw24-rede-selenskyj-de-1008282

 

Diese Narrative zeigen zwei unvereinbar gegensätzliche Interessen: Die einen wollen den Sieg und den Frieden diktieren, die anderen kämpfen um ihre Souveränität und ihr Recht auf Frieden. Die Unvereinbarkeit dieser Interessen wird besonders deutlich in den unterschiedlichen Strategien der Kriegführung: Desinformation und Zensur, gezielte Zerstörung ziviler Einrichtungen, hybride Kriegführung einerseits und internationale Berichterstattung und demokratischer Diskurs, konventionelle Kriegführung, Zerstörung militärischer Infrastruktur auf der anderen Seite.

 

 

These 4 Zeitenwenden als Weg zu Frieden und Verständigung

 

Ein „gerechter Frieden“ kann in privaten wie in politischen Konflikten ausgehandelt werden, wenn allen Akteuren eine gemeinsame Zukunft wichtiger ist als die Fortsetzung der Zerstörungen durch den Konflikt bzw. Krieg und wenn für alle Beteiligten gleichermaßen Menschenrechte sowie völkerrechtliche Standards und internationale Abkommen gelten. Bezogen auf den aktuellen Krieg in der Ukraine erfordert die Unvereinbarkeit der Werte und Interessen der Akteure sowie die gegenwärtige Unsicherheit in der weltpolitischen „Zeitenwende“ nicht nur Umsicht und „langen Atem“, sondern auch den Mut der mittelbar und unmittelbar Beteiligten, „ins Blaue“ hinein zu handeln, d. h. in der Zuversicht, dass Hass, Lüge und Gewalt keine überzeugende Grundlage für ein friedliches Miteinander sind. Dabei liegt die Haupt-Herausforderung in der Unvereinbarkeit beider Standpunkte:

Putin nutzt das Narrativ der „brüderlichen Verbundenheit“ zwischen Russen und Ukrainern, um die Invasion zu legitimieren. Selenskyi dekonstruiert dieses Narrativ, indem er die sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern betont und die Dominanz Russlands in der Beziehung hervorhebt. Er vergleicht Putins Argumentation mit der biblischen Geschichte von Kain und Abel, um die Asymmetrie der Beziehungen zu verdeutlichen.

Die zentralen Narrative im russisch-ukrainischen Krieg sind somit fundamental unvereinbar und spiegeln tiefgreifende Differenzen in Geschichtsverständnis, nationaler Identität und politischer Orientierung wider. Während russische Narrative primär auf der Leugnung ukrainischer Eigenständigkeit, historischen Revisionismus und konstruierten Bedrohungsszenarien basieren, betonen ukrainische Narrative existenzielle Selbstverteidigung, demokratische Werte und europäische Integration.

 

Allerdings lässt sich im Laufe der Kriegsjahre eine Entwicklung in den Narrativen feststellen, die eine Einigung auf längere Sicht nicht mehr illusorisch erscheinen lässt:

Das ukrainische Narrativ hat sich von der anfänglichen Forderung nach vollständiger militärischer Rückeroberung aller Gebiete hin zu einer pragmatischeren Position entwickelt: Die Ukraine könnte bereit sein, „den aktuellen Frontverlauf einzufrieren und dann Verhandlungen zu führen." Wichtig ist jedoch, dass die Ukraine besetzte Gebiete niemals als russisch anerkennen würde – das politische Ziel der vollständigen Wiederherstellung der territorialen Integrität bliebe bestehen.

 

Mögliche Lösungen:

  1. De-facto vs. de-jure-Unterscheidung: Ähnlich wie bei der deutschen Ostpolitik könnte eine Lösung zwischen faktischer Kontrolle und rechtlicher Anerkennung differenzieren.

  2. Zeitlich gestreckte Lösungen: Einfrieren des Konflikts mit langfristiger Perspektive auf friedliche Grenzveränderungen.

  3. Multilaterale Sicherheitsgarantien: Einbindung sowohl westlicher als auch neutraler Staaten in ein Garantiesystem.

    Dabei sollten aus ukrainischer Sicht folgende Elemente integriert sein: Strahlungssicherheit (Atomkraftwerke), Ernährungssicherheit, Energiesicherheit, Freilassung aller Gefangenen und Deportierten, Umsetzung der UN-Charta und Wiederherstellung der territorialen Integrität, Rückzug russischer Truppen, Gerechtigkeit (Kriegsverbrechertribunale), Umweltschutz, Verhinderung einer Eskalation, Bestätigung des Kriegsendes.

M. Löffelholz, K. Schleicher und C. F. Trippe (Hgg.). Krieg der Narrative.

Russland, die Ukraine und der Westen, Berlin 2024

 

Zu 1.

Der im November 2025 bekannt gegebene US-Plan, der weitgehend die Kreml-Extrempositionen vertritt, enthielt folgende territoriale Regelungen: De-facto-Anerkennung russischer Kontrolle über Krim, Donezk und Luhansk, aktuelle Frontlinie als Waffenstillstandsgrenze, russischer Rückzug aus einigen Gebieten (Charkiw, Sumy); des weiteren folgende Regelungen zur Sicherheitsarchitektur: Verfassungsverzicht der Ukraine auf einen NATO-Beitritt, glaubwürdige Sicherheitsgarantien, Limitierung ukrainischer Streitkräfte auf 600.000 Soldaten sowie: Die Ukraine bleibt atomwaffenfrei.

Im Gegenzug /sollte Putin auf weitere Gebietsansprüche verzichten, die Aggression gegen die Ukraine und Europa beenden und einen Dialog über nukleare Rüstungskontrolle führen.

 

Auch wenn der ursprüngliche Plan in Genf modifiziert wurde und weitere Veränderungen erfolgten (und voraussichtlich noch folgen werden), blieben die Kern-Narrative der Souveränität und territorialen Integrität aus ukrainischer Sicht und die Kern-Narrative von "Entnazifizierung" und politischer Kontrolle aus russischer Sicht offen gegeneinander bestehen. Zudem blieb das Hauptproblem das fehlende Vertrauen angesichts zahlreicher bisheriger Vertragsverletzungen und -abbrüche durch Putin.

 

Zu 2.

Ein möglicher Kompromissvorschlag der Europäer sieht vor, zwischen faktischen Zugeständnissen (Kontrolle über Territorien) und prinzipiellen Positionen (rechtliche Nicht-Anerkennung) zu unterscheiden – ähnlich der deutschen Ostpolitik während des Kalten Krieges. Das bedeutet u.a., dass die besetzten Gebiete nicht formell anerkannt werden und die Ukraine in der Lage bleibt, sich zu verteidigen und mit anderen Ländern beim Wiederaufbau zu kooperieren.

Eine weitere Überlegung betrifft die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland in ausgewählten Bereichen mit dem Ziel, einen Versöhnungsprozessen auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu beginnen, bis sich die Beziehungen zum Aggressor soweit normalisiert haben, dass eine historische Aufarbeitung und Versöhnung möglich wird, könnte – allen Risiken zum Trotz – erfolgreich sein, wenn die Klärung territorialer Fragen und einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur am Verhandlungstisch stattfindet.

 

Auch wenn daran deutlich wird, wie langwierig und schwierig ein solcher Prozess ist (vgl. 1648), machen die Beispiele seit der Eroberung Westroms Mut, auf eine entsprechendes Engagement auf allen Seiten zu setzen, weil in der Geschichte jeder Konflikt – wenn auch nach Jahren oder Jahrzehnten – ein Ende fand.

 

Zu 3.

Der ukrainische Vorschlag einer neuen Sicherheitsarchitektur enthält Eckpunkte, die sich auch für ein europäisches Gesamtkonzept eigenen – insofern lässt sich also Putins Verurteilung des Westens in eine Vision umwandeln: Die „Unterzeichnung eines Friedensvertrags mit klaren und transparenten Vereinbarungen zur Einhaltung bestehender Regeln /.../ einen rationalen Wiederaufbau durchzuführen und ihn an die neuen Realitäten im System der internationalen Beziehungen anzupassen.“ (Putin, 2014)

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